Das ist die Geschichte eines queeren Sexarbeiters aus den Balkanländern. Er lebt nun in Wien. Pauli hat eine Stunde mit ihm telefoniert und während dessen protokolliert. Das ist die Information, die er von sich teilen wollte. Um seine Anonymität zu wahren, wird kein Name genannt, er hat darum gebeten, nicht das Land zu erwähnen, aus dem er kommt und stattdessen „Balkanland“ zu schreiben, und der Name der Organisation in der er aktiv ist, wurde geändert.
Kurze Vorstellung
Hey, ich freue mich sehr, ein bisschen mehr über dich, deine Migrationsgeschichte und deinen Weg in der Sexarbeit zu hören
Ich bin 36 Jahre alt und vor 5 Jahren aus einem Land im Balkan nach Wien gekommen, um einem derzeitigen Partner von mir näher zu sein. Der war auch ein männlicher Escort. Es hat 2 Jahre gebraucht, bis ich einen legalen Aufenthaltsstatus in Österreich bekommen habe. Während dieser 2 Jahre habe ich als Sexarbeiter gearbeitet, was mir sehr dabei geholfen hat, finanziell über die Runden zu kommen. Während ich auf meine offiziellen Papiere gewartet habe, gab mir dieser Job Sicherheit. Zu der Zeit hatte ich schon ca. 5 Jahre als Sexarbeiter gearbeitet.
Einstieg in die Sexarbeit
Wie, wann und wo hast du begonnen, in der Sexindustrie zu arbeiten? Was ist deine Geschichte?
Ich habe als Escort in meinem Heimatland angefangen. Als Student musste ich meine Studiengebühren finanzieren, meine Miete zahlen usw… also habe ich Teilzeit in einer Trafik gearbeitet. Da ist einmal diese Frau (dieses Mädchen?) reingekommen? Sie hat angefangen, öfter zu kommen und nach einer gewissen Zeit haben wir angefangen zu plaudern… nach einer Weile habe ich realisiert, dass sie versucht hat, mich davon zu überzeugen, als Sexarbeiter zu arbeiten zu beginnen. Weil sie auch eine war. Auch wenn sie das Wort Sexarbeiterin für sich selbst verwendet hat. Sie beschrieb es als Spaß für Bezahlung.
Sie hat mir über ein hochklassiges Arbeitstreffen in einer Botschaft erzählt. Und dass dort ein paar Männer waren, die wollten, dass sie mal mit einem Typen kommt. Also hat sie mich gefragt, ob ich da mitkommen – und Spaß für Bezahlung haben möchte.
Am Anfang habe ich nicht gewusst, was ich tun soll … auf der einen Seite war ich voll begeistert und auf der anderen Seite hatte ich auch Angst.
Sie waren Politiker – es war ja eine Botschaft… Ich habe mir gedacht, in welchem Film bin ich hier gelandet? Wir hatten einen Fahrer, der uns abholte und uns vorbereitete. Es wurde nicht darüber geredet. Viele Bilder von kriminellen, gefährlichen Situationen sind damals in meinem Kopf aufgekommen.
In der Arbeitsnacht hat mir der Fahrer, der uns abholte, viele Fragen gestellt. Er hat versucht, mich auszuchecken. Ihm war es sehr wichtig, dass ich niemandem erzählte, wo wir hinfahren. „Sprich mit Niemandem“.
Als wir drinnen waren, habe ich ihr eigentlich nur zugeschaut und darauf gewartet, dass sie mir Anweisungen gibt. Ich habe sie als meine Chefin und Mentorin gesehen.
Also haben wir angefangen ca. einmal die Woche zusammen zu arbeiten und sie rief mich von Zeit zu Zeit an. Sie hatte wenige Kunden, die nach männlichen Services fragten. Nach ein paar Monaten habe ich meinen Job in der Trafik gekündigt und mein Geld nur mehr durch Sexarbeit verdient.
Also es war ein sehr spontaner Einstieg in die Sexindustrie.
Ich habe mehr und mehr an Selbstsicherheit in diesem Feld gewonnen und sie nach mehr Kunden für mich gefragt. Sie sagte mir, dass die Kunden weibliche Services wollten und nicht männliche. Also habe ich angefangen, zu recherchieren. Ich habe eine Website für LGBTQI-Personen gefunden und dort mein erstes Profil als Escort erstellt.
Arbeitserfahrungen als männlicher Sexworker vs. Crossdresser
Möchtest du über deine Arbeitserfahrungen als männlicher Sexarbeiter und als Cross-Dresser/Trans Worker reden?
Als erstes möchte ich nochmal betonen, dass ich, schon bevor ich nach Österreich gekommen bin, als Sexarbeiter gearbeitet habe. Ich habe in verschiedenen Ländern gearbeitet und als männlicher Sexarbeiter nie negative Erfahrungen gemacht… ABER als männlicher Sexarbeiter und Cross-Dresser (Trans- Sexworker) sprichst du einen anderen Typ an Kunden an. Ich habe viel Gewalt von Kunden erfahren, als ich als Cross-Dresser gearbeitet habe. – Das spiegelt für mich klar den Sexismus und Chauvinismus in der Gesellschaft wieder. Ich habe mich verletzlicher als weiblicher* Sexworker gefühlt. Kunden sind gegangen, ohne zu zahlen, haben mich respektlos behandelt usw.
Das erste Profil, dass ich gemacht habe, war weiblich mit gefälschten Bildern aus dem Internet. Ich habe dafür Bilder von Porno-Websites verwendet. Wenn mich Kunden angeschrieben haben, schrieb ich zurück, machte sie scharf und erklärte ihnen später, dass ich männlich war. Ungefähr 50% haben mich beleidigt und sich dann nicht mehr gemeldet… die andere Hälfte wollte mich treffen. Meine Strategie war, nach Mitternacht zu schreiben. Das war der Trick: Sie heim vom Trinken… betrunken, geil und mit keinen Alternativen.
Das ist wie ich einige Jahre gearbeitet habe.
Dann habe ich angefangen als Trans-Gender von zu Hause zu arbeiten. Ich professionalisierte mich mit schöner Kleidung, schönen Schuhen, schönen Perücken… und hatte viele Kunden – ca. 5 bis 10 pro Nacht.
Niemand um mich herum wusste, dass ich das tat. NIEMAND. Ich war sehr populär in meinen Social-Media Kreisen. Also habe ich mich in einem System der Geheimhaltung für mein Arbeitsleben vs. mein Privatleben professionalisiert. So dass niemand herausfinden würde, was ich eigentlich tat.
Jede Woche habe ich mein privates Handy für 2 Tage ausgeschaltet, um meine „kranke Großmutter“ zu besuchen und mich um sie zu kümmern. Ich habe allen gesagt, sie sollen mich in dieser Zeit nicht anrufen, damit es ihr besser ginge. Während dieser zwei Tage habe ich mein privates Handy aus- und mein Arbeitshandy eingeschalten. Ich bin Essen einkaufen gegangen und habe so eingekauft, dass ich zwei Tage zu Hause bleiben konnte, ohne mein Apartment zu verlassen. Weil niemand herausfinden durfte, dass ich zu Hause war, wenn ich eigentlich gesagt hatte, dass ich auf meine Oma aufpassen würde.
Es war ermüdend, aber ich habe viel Geld verdient in diesen zwei Tagen in der Woche.
Dann habe ich angefangen, verschiedene europäische Länder zu bereisen. Ich habe herausgefunden, dass ich dasselbe als ein männlicher Sexarbeiter auf Reisen verdienen konnte, wie ich als Trans-Sexworker zu Hause verdienen würde.
Wieso gibt es […]?
Also […] – die migrantische Sexarbeiter Gemeinschaft in Wien, hast du du gegründet, weil du das Gefühl hattest, du müsstest dich organisieren?
Ja. Ich begann mich mit anderen Sexarbeiter*innen in Wien zu verabreden, die mit denselben Problemen konfrontiert waren. Wir sprachen über unsere Sorgen bei der Arbeit, stellten Fragen zu Registrierungen und Gesundheitschecks. In anderen Ländern, vor allem in meinem Heimatland, habe ich immer Kontakt zu Organisationen aufgenommen, die mit Sexarbeiter*innen arbeiten, um Kontakte zu knüpfen, Informationen über Geschlechtskrankheiten zu erhalten usw. Als ich hierherkam, stellte ich fest, dass ich kaum Zugang zu Informationen und Hilfe fand. Ich fing an, E-Mails an Organisationen zu schreiben (ich werde keine Namen nennen), um mich über Themen im Zusammenhang mit Sexarbeit zu informieren.
Die Organisationen, die mit Sexarbeitern arbeiten, boten keine Dienste für männliche Sexarbeiter an und die LGBTIQ*-Organisationen boten keine Dienste zum Thema Sexarbeit an. Was kann man also als schwuler, männlicher Sexarbeiter tun? Ich war in Wien und es gab keine Möglichkeit, Informationen oder Hilfe für meine Arbeit hier in Österreich zu bekommen.
Also mussten wir – als migrantische Sexarbeiter – uns selbst organisieren. Wir begannen als Peer-Support mit Treffen, zu denen nur wenige Sexarbeiter*innen kamen und bei denen wir grundlegende Informationen darüber austauschten, wo man Kondome findet, wo man sich registrieren lassen kann, Arbeitsmaterialien zu den Treffen mitbrachten, um sie zu teilen usw.
So wurde […] im Grunde genommen geboren.
Ich stehe immer noch in Kontakt mit meinen Kolleg*innen aus der Heimat. Die meisten von ihnen arbeiten weiter und einige besuchen mich noch immer von Zeit zu Zeit in Wien. Unsere Freundschaften haben sich weiterentwickelt. Und dann sind wir gewachsen. Viele Sexarbeiter*innen, vor allem Migrant*innen, kamen, um gemeinsam an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Mein Aktivismus begann also wirklich aus einem persönlichen Bedürfnis heraus – in Wien.